Biruk Shewayirga Belay, Doktorand an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg und Zweitautor der Studie, installiert eine Kamera an der Fluss-Simulationskammer. Quelle: Daniel Valero

Interviewpartner Dr. Daniel Valero, Leitautor der Studie über den Transport von Plastik in Fliessgewässern. Quelle: Daniel Valero

Monitoring von Makroplastik in der Simulationskammer. Ein Film unter Wasser, Quelle: Daniel Valero

eine Gesichtsmaske an der Wasseroberfläche Quelle: Daniel Valero

und sinkende bzw. schwimmende Einwegbecher. Quelle: Daniel Valero

Wasserstrassen – Die Autobahnen der Plastikverschmutzung

Publiziert

Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und des IHE Delft vermuten, dass viel mehr Plastik in fliessenden Gewässern transportiert wird als bislang angenommen. Gemeinsam mit Partnern aus Australien haben sie konventionelle Annahmen für den Transport von Makroplastik in Flüssen überprüft und eine Studie veröffentlicht. Ihre Erkenntnisse zeigen, dass die tatsächliche Menge Plastikmüll in Flüssen bis zu 90 Prozent grösser sein könnte als bislang vermutet. Im Interview spricht Dr. Daniel Valero, Erstautor der Studie, darüber wie die Erkenntnisse dabei helfen sollen, das Monitoring zu verbessern und was unternommen werden kann, um Plastik aus Gewässern zu entfernen.

Beim Transport von Plastik in der Umwelt haben Flüsse eine massgebliche Funktion: Ist Plastik erst einmal in einen Fluss gelangt, kann es mit hoher Geschwindigkeit weitertransportiert und in der Umwelt verbreitet werden. Dabei verhalten sich Plastikteile je nach Grösse und Beschaffenheit sehr unterschiedlich. Sie können sinken, schwimmen oder von Hindernissen aufgehalten werden. Die gängigste Methode zum Einschätzen der Plastikbelastung in Flüssen ist die visuelle Beobachtung der Oberfläche von Brücken aus. Das ist günstig, relativ simpel und vorhandene Infrastruktur kann genutzt werden. Allerdings wurden die zugrunde liegenden Annahmen bislang nicht ausreichend überprüft. Gemeinsam mit seinen Forschungspartnern untersuchte Dr. Daniel Valero das Verhalten von 3000 Teilchen im Grössenbereich von 30 Millimetern bis zu grösseren Objekten wie Plastikbechern in fliessenden Gewässern. In Flussmodellen im Labor wurde dabei jedes einzelne Teilchen mit einem Multi-Kamera-System millimetergenau in 3D verfolgt, wobei die gesamte Wassersäule – von der Wasseroberfläche bis zum Grund – erfasst wurde.

Was haben Sie in Ihrem Experiment herausgefunden?
Wir haben das Gleichgewicht der Konzentrationen von Plastikteilchen an der Wasseroberfläche und in grösserer Tiefe mit unterschiedlichen Transportbedingungen quantifiziert. Dabei konnten wir statistisch nachweisen, dass Plastikteilchen sich sehr unterschiedlich verhalten, je nachdem, wo sie sich in einem Fluss genau befinden. Plastik, das unter der Wasseroberfläche transportiert wird, verhält sich wie Staub im Wind und nur wenige Teilchen gelangen überhaupt wieder an die Wasseroberfläche. Das wird durch das gängige Modell turbulenter Strömungen bestätigt. Sobald Plastik jedoch wieder auftaucht, verändert sich die Situation. Beim Kontakt mit der freien Wasseroberfläche werden die Teilchen von der Oberflächenspannung wie Fliegen in einem Spinnennetz eingefangen und treiben gemeinsam weiter. Die Haftwirkung und der spezifische Auftrieb eines Plastikteilchens sind sehr relevant für den oberflächlichen Transport in Flüssen. Was schliessen Sie daraus? Um abzuschätzen, welche Menge Plastik sich in einem Fluss befindet, genügt es nicht, nur schwimmendes Plastik an der Oberfläche zu berücksichtigen. Die Verzerrung ist signifikant. Wenn der turbulente Charakter des Transports von Plastikteilchen unter der Wasseroberfläche nicht berücksichtigt wird, dann kann die Menge an Plastikmüll in Flüssen um bis zu 90 Prozent unterschätzt werden. Andererseits konnten wir die gängige Annahme bestätigen, dass das Verhalten von Teilchen in turbulenten Strömungen für den Transport von Plastik in Flüssen relevant ist und dass es dabei helfen kann, die Gesamtmenge realistischer abzuschätzen.

Was bedeutet das nun für das Monitoring in der Praxis?
Das ist die gute Nachricht: Auf der experimentellen Grundlage kann ein Monitoring auch weiterhin durch visuelle Beobachtung der Gewässeroberfläche erfolgen und die tatsächlich transportierte Menge relativ genau berechnet werden. Zusätzlich können die Ergebnisse ganz praktisch bei der Entwicklung von neuen Ansätzen zum Entfernen des Plastiks helfen: Wenn man abschätzen kann, wo sich das meiste Plastik befindet, dann weiss man auch, wo eine Säuberung am effektivsten ist.

Sie konnten die Schätzung enorm präzisieren, wie gross ist die verbleibende Unsicherheit?
Es gibt immer eine gewisse Unsicherheit bei dieser Art von Studien. Das hängt von den verwendeten Instrumenten oder der Grösse des Experimentes ab oder davon wie genau es die Realität abbildet. Wir waren bei unseren Messungen sehr sorgfältig und gingen mit unseren Beprobungen weit über das hinaus, was gängige Hydraulikstudien üblicherweise berücksichtigen. Wir verifizierten so viel wie möglich und angemessen. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass unsere Ergebnisse zu einer Verbesserung des Monitorings führen können. Trotz der Komplexität der physikalischen Prozesse, sind unsere Formeln eher simpel. So wird es möglich, allein durch Oberflächenüberwachung eine relativ genaue Schätzung der gesamten Plastikmenge im Fluss zu machen – einschliesslich des Plastiks unter der Wasseroberfläche.

Wollen Sie Ihr Modell weiter präzisieren und verfeinern?
Das Modell kann immer verbessert werden und wir hoffen, dass genau das passiert. Aus diesem Grund haben wir alle Daten online veröffentlicht, inklusive Rohdaten. Das macht es Forschern auf der ganzen Welt einfacher, ihre Experimente durchzuführen und mit unseren Daten anzureichern, damit die Formeln weiter verbessert werden können. Ihr Modell funktioniert für schwimmende Plastikarten.

Wie wird sinkendes Plastik, z.B. PVC, behandelt?
Ist es nötig, diese Sorten in das Monitoring miteinzubeziehen? Wenn ja, wie? Das ist eine gute Frage und wir hoffen, dass wir das künftig genauer untersuchen können. Als wir mit unserem Experiment begannen, haben wir schnell festgestellt, dass die Mechanik von schwimmendem Plastik in der oberen Wassersäule ganz anders ist, als in der unteren. Daher beschlossen wir, uns zunächst auf die obere Wassersäule zu fokussieren. Sinkendes Plastik in der unteren Wassersäule ist kaum sichtbar und das Monitoring ist komplizierter. Das wollen wir gern verbessern.

Plastik kann in Flüssen über weite Strecken transportiert werden. Sagen wir, Plastikabfall gelangt am Churer Rheinufer in den Fluss. Wie wahrscheinlich ist es, dass es in den Niederlanden ankommt?
Abhängig von den Umständen, z.B. der Strömung oder der Dichte des Plastiks, landet der Abfall ausgehend von Chur wahrscheinlich in einem Damm oder Wasserkraftwerk und verfängt sich dort oder sinkt auf der Strecke ab. Anders sieht es in Karlsruhe aus. Dort befindet man sich abwärts des letzten Damms in Iffezheim. Abfall, der dort in den Rhein gelangt, kann sogar im Meer landen. Der Rhein ist einer von vielen Flüssen, die durch mehrere Länder fliessen. Wie wichtig schätzen Sie die Internationale Partnerschaft beim Management der Plastikverschmutzung in Flüssen ein? Plastik ist nicht die erste Verschmutzung, die Flüsse und andere Gewässer zwischen mehreren Ländern betrifft. In Europa gibt es fast 100000 Oberflächengewässer (Ströme, Flüsse, Seen, Marschland und Reservoire) und 12000 Grundwasserquellen. Diese sind Quellen für Trinkwasser und wichtig für die Ökosysteme. Seit den frühen 2000er-Jahren gibt es in der EU die Wasserrahmenrichtlinie für nachhaltigen Umgang mit Gewässern. Als diese zustande kam, war Plastik noch nicht im Fokus. Es wird wahrscheinlich Zeit, standardmässig auch Plastikverschmutzung als Indikator bei der Bewertung der Wasserqualität zu berücksichtigen.

Gibt es weitere Fragestellungen, die Sie mit Ihrer Forschung beantworten wollen?
Was unsere oben genannte Studie nicht berücksichtigt, ist Mikro- und Nanoplastik. Egal, wo es in der Welt produziert wird, kann es überall landen. Zum Beispiel: Beim Waschen von Kleidung mit Polyesterfasern lösen sich bei jedem Waschgang Millionen von Partikeln auf einmal ab und werden ins Wasser abgegeben. Diese Fasern werden nicht unbedingt von Kläranlagen eliminiert und können nicht nur flussabwärts ins Meer, sondern auch ins Trinkwasser gelangen. So liegt es durchaus im Rahmen des Möglichen, dass jemand in den Niederlanden Polyesterfasern aus der Schweiz oder Deutschland trinkt. Allerdings gibt es zum aktuellen Zeitpunkt keine Möglichkeit, zu bestimmen, woher eine Faser genau stammt, die im Trinkwasser gefunden wird. Im Gegensatz zu konventionellen Verunreinigungen gibt es Unterschiede, wie Mikro- und Nanoplastik im Wasser transportiert werden. Daran arbeiten unsere Gruppe und Kollegen bereits. In den USA wird bereits daraufhin gearbeitet, Grenzwerte für Mikroplastik in Trinkwasser zu bestimmen und gesetzliche Regulierungen zu veranlassen. Ich denke, dass wir alle davon lernen können und versuchen sollten zu folgen.

Was kann jeder Einzelne tun, um Plastikverschmutzung zu reduzieren?
Plastikverschmutzung kommt von Plastikgebrauch. Unter dem Vorbehalt, dass auch Plastikalternativen Einfluss auf die Umwelt haben können, sollte man seinen Plastikkonsum so gut es geht einschränken. Das ist manchmal fast unmöglich. Als Hilfestellung rate ich, sich vor einem Neukauf zu fragen:

  • «Brauche ich es?» (Reduce) 
  • «Habe ich es schon?» (Reuse)
  • Und falls bereits vorhanden «Ist es reif für den Müll?» (Recycle)

Ich persönlich hatte eine Erleuchtung, als ich eine wiederverwendbare Trinkflasche aus Metall geschenkt bekam: Zuvor hatte ich täglich eine PET-Flasche mit einem Getränk gekauft. Mittlerweile habe ich durch den Gebrauch der Metallflasche nicht nur Plastik eingespart, sondern auch Geld.

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Bezugsquellenverzeichnis