Herr Röschli, zunächst noch einmal einen kurzen Rückblick auf das Jahr 2019. Die Schweizer Kunststoffindustrie musste einen Rückgang von 5,5 Prozent verkraften. Wie ist das zu erklären?
Kurt Röschli Die Wachstumskurve hat sich etwa ab Mitte des Jahres 2019 abgeflacht. Eine Hauptursache war sicherlich die Schwäche der Automobilindustrie, das bekamen leider die Schweizer Zulieferer zu spüren. In den Zahlen sehen wir das auch bei den Verarbeitern, die ein Minus von 5,4 Prozent verzeichnen mussten. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass wir uns auf sehr hohem Niveau bewegen. Es gibt nur sehr geringe Veränderungen bei den Formenbauern, Dienstleistungsbetrieben und Verwertungsbetrieben.
Wie lief es bei den Rohstofflieferanten und im Bereich Maschinenbau?
Die Maschinen- und Peripheriehersteller mussten einen Umsatzrückgang in Höhe von 8,5 Prozent hinnehmen. Das ist zwar weniger, als der Verband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie vermeldet, nämlich 12 Prozent, aber es schmerzt natürlich dennoch. Und auch bei den Rohstofflieferanten liegt das Minus bei 6,5 Prozent. Hier spielen sicherlich die Preiseinbrüche bei verschiedenen Rohstofftypen eine Rolle.
Welche Rolle spielte der Export 2019?
Der Exportanteil war insgesamt stabil, er hat mit 22,3 Prozent gerechnet am Gesamtumsatz sogar leicht zugelegt (Vorjahr 21,8%). Das ist sicherlich erfreulich. Insbesondere Renovierungsarbeiten, auch bei öffentlichen Gebäuden, beleben das Geschäft.
Erstaunlicherweise hat der Personalbestand um 0,5 Prozent auf jetzt 33 935 Mitarbeitenden noch zugelegt.
Die Zahlen zeigen, dass insbesondere die Verarbeiter versuchen, ihre Mitarbeiter in einer rückläufigen Phase zu halten. Das ist ein sehr gutes Signal, und ich vermute zudem, dass die vielen Start-ups, die erstmals in unsere Statistik eingeflossen sind, ihren Anteil an der guten Statistik haben.
Auch die Anzahl der Unternehmen hat zugenommen, liegt das ebenfalls an den Start-ups?
Nein, nicht nur. Wir erfassen die Firmen jetzt viel konsequenter und nutzen auch eine neue Software im Verband.
Noch zum Personal: Es fällt auf, dass der Anteil Berufspersonal inklusive Lehrlinge von 68,1 auf 64,6 Prozent gesunken ist. Entsprechend nahm angelerntes Personal um 3,5 Prozent auf 35,4 Prozent zu.
Wir vermuten, dass viele Firmen einfach nicht das Fachpersonal gefunden haben und sich deshalb mit angelernten Mitarbeitenden ausgeholfen haben. Wie andere Branchen auch, leiden wir nach wie vor unter dem Fachkräftemangel.
Interessant beim Kunststoffverbrauch ist, dass er zwar erwartungsgemäss zurückgeht, insgesamt um 3,4 Prozent auf 748 906 Tonnen, aber weniger stark als der Umsatz und gleichzeitig der Kautschukverbrauch um 3,2 Prozent zulegt.
Dass die Mengen weniger zurückgehen als der Umsatz liegt in den sinkenden Rohstoffpreisen begründet. Die Zunahme im Kautschukbereich könnte an der weiterhin gesunden Bautätigkeit liegen. Dort wird eigentlich immer der Synthesekautschuk EPDM (Ethylen-Propylen-Dien-Monomer) benötigt.
Kunststoffverpackungen haben ein schlechtes Image, wie ist dort der Trend?
Der Bereich Verpackungen geht etwas zurück, hier leiden wir sicherlich am «plastic bashing» und dem vielerorts eingeführten Verbot der «Raschelsäckli», aber ich bin mir sicher, dass es durch Covid einen gegenläufigen Trend geben wird.
Auch der Export von Kunststoffabfällen steht in der Kritik. Was hat sich hier getan?
Die Exporte haben abgenommen auf jetzt 89607 Tonnen, 2018 waren es rund 91000 Tonnen. Gleichzeitig haben die Importe, zum grössten Teil aus unseren Nachbarländern Deutschland, Österreich und Frankreich etwas zugenommen auf 65389 Tonnen.
Was können Sie bereits zu 2020 sagen?
2020 wird als das Covid-Jahr in die Geschichte eingehen, keine Frage, das wissen wir alle. Als Jahr der Veränderungen (siehe auch die Wahlen in den USA). Dies betrifft nicht nur die Schweiz, das betrifft mindestens ganz Europa.
Wir sehen auch im Bereich Kunststoffe in den ersten drei Quartalen zum Teil massive Einbrüche bis zu 12% im Vergleich zum Vorjahr. Viele Konkurse und Betriebsschliessungen und -verlagerungen belasten den Markt.
Vergleicht man dies mit der MEM (metallverarbeitende Industrie) ist dies noch relativ human. Dort liegen die Einbrüche bei rund 15 bis 18%. Allerdings hat nicht zuletzt auch die Politik während Covid erkannt, dass Kunststoffe schützen und sie als systemrelevant erklärt. Die Retailer haben krampfhaft versucht auf andere Materialien umzusteigen, was ihnen aber nur teilweise gelungen ist.
Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer?
- Gewinner sind kleine Verarbeiter im Bereich Plexiglas und Acrylglas die Platten zu Schutzzwecken zum Beispiel in Einkaufsläden ausgerüstet haben, eben: Kunststoffe schützen.
- Recyclingbetriebe, die ganz klar ihre Kapazitäten aufgrund der EU-Bestimmungen hochgefahren haben. ❱ Produzenten und Importeure von Schutzmaterialien
- System- und Materiallieferanten im Bereich Analyse von Covid-Test und Schutzimpfungen
- Verlierer sind im Bereich Automotive zu finden; diese liefern hauptsächlich an die Automobilund Flugzeugindustrie
- Lieferanten von Kunststoffmaschinen und peripheren Systemen
- Verpackungsindustrie, die mit einem Anteil am gesamten Verbrauch an Kunststoffen von rund 40 Prozent partizipieren. Dies haben die Anstrengung vor allem der Retailer gespürt, die von den Kunststoffverpackungen weg wollen.
Welche sind die wichtigsten Themen 2021 für die Branche und auch für den Verband?
Folgende Punkte stehen für uns und die Branche im Vordergrund:
- Wir wollen andere Wege suchen im Bereich Recycling und chemischem Recycling (VinylPlus, Rewindo, ERDE), um die Belastung für die Umwelt zu reduzieren.
- Wichtig ist die Sensibilisierung der Öffentllichkeit für die Tatsache, dass ein gezielter Einsatz von Kunststofffen dazu beiträgt, das Klima zu schützen.
- Die neue Bildungsverordnung und Bildungsplanung für die Lehrberufe im Kunststoffbereich; da steht der Verband ja bekanntlich in der Verantwortung. Diese Planung muss beim entsprechenden Bundesamt in drei Sprachen bis spätestens Ende März 2021 zur Vernehmlassung – die ein Jahr dauern wird – eingereicht werden. ❱ Das wesentlich geschärfte Berufsmarketing zur Findung von geeigneten Lernenden und Fachkräften.
- Die Anstrengung des Verbands zur Integration von Personal mit Migrationshintergrund oder die Umschulung von Personal aus anderen Berufen nach einem speziellen Artikel der Berufsbildungsverordnung
- Erhöhung der Dienstleistungen für die Mitglieder unter Einsatz von verstärkter Kommunikation mit eigenen Software Tools (Mitglieder können sich auf unserer Website präsentieren, eigener Newsletter, Webinare, Acquisition von neuen Mitgliedern).
Florian Fels, Redaktion Kunststoff-, Chemieund Pharmaindustrie