Rohöl war bisher die selbstverständlichste aller Quellen für Kohlenstoff. Noch gilt die fossile Ressource als der Schmierstoff unserer modernen Welt. In verarbeiteter Form treibt sie Autos und Flugzeuge an, liegt Medikamenten und Kosmetika zugrunde und steckt in Farben und Kunststoffen. Doch Ölquellen sind nicht unerschöpflich, die Ölförderung ist Raubbau an der Natur und schadet dem Klima. Doch ein Umdenken hat in vielen Industrienationen bereits eingesetzt. Der Weg in die nicht fossile Zukunft ist eingeschlagen. Auch die Chemie- und Kunststoffbranche sucht als grösster industrieller Energiekonsument in Europa nach Alternativen zum Öl als Energie- und Rohstoffquelle.
Es gilt daher, neue Quellen für das Element Kohlenstoff zu erschliessen, einen zentralen Baustein der chemischen Industrie. Als Alternativen kommen bislang Pflanzen und andere Biomassen aus Biomasseabfall infrage, aber auch Haus- und Siedlungsmüll oder gebrauchte Kunststoffe könnten zukünftig recycelt und als Rohstoff verwendet werden.
Der heimliche Star unter den alternativen Rohstoffen ist aber ein alter Bekannter: Kohlendioxid. Im Schulterschluss von anwendungsorientierter Wissenschaft und forschungsbasierter Industrie ist es geglückt, CO2 in der Kunststoffproduktion zu nutzen. Ein Meilenstein in der Verfahrenstechnik und Ergebnis einer engagierten Teamarbeit zwischen der RWTH Aachen, dem in Leverkusen ansässigen Werkstoffhersteller Covestro und dem CAT Catalytic Center, einer gemeinsam betriebenen Forschungseinrichtung. Mit diesem Durchbruch wurde ein jahrzehntealter Traum der Wissenschaft erfüllt.
Was so einfach klingt, ist tatsächlich ein sehr schwieriges, anspruchsvolles Unterfangen. Denn als Endprodukt der Verbrennung ist CO2 extrem reaktionsträge. Deshalb braucht es eigentlich viel Energie, um das Gas zur Reaktion zu bringen. Die notwendige Energie aufzubringen, wäre jedoch ökologisch und wirtschaftlich ineffizient.
Traumreaktion geglückt
Doch diese Hürde ist überwunden. Denn Covestro und Partnern ist die Dream Reaction gelungen. «Wir haben in akribischer gemeinsamer Suche die Bedingungen gefunden, unter den die gewünschte Reaktion mit CO2 mittels eines Katalysators so erfolgt, dass das optimale Produkt dabei herauskommt», erklärt Professor Walter Leitner, Direktor am Max-PlanckInstitut für Chemische Energiekonversion und Professor für Technische Chemie an der RWTH Aachen.
Parallel wurde von dem Leverkusener Unternehmen die vollkommen neue Plattformtechnologie Triturn® entwickelt. In wenigen Jahren gelang der erfolgreiche Weg: Vom Durchbruch im Labor über eine Pilotanlage bei Covestro in Leverkusen bis zum Scale-up mit einer Demonstrationsanlage im Industrieformat am benachbarten Standort Dormagen vergingen keine zehn Jahre. Seit 2016 stellt Covestro in Dormagen mit Triturn – der CO2-Technologie – ein wichtiges chemisches Vorprodukt her: das Polyol cardyon®. Dieses wiederum wird zur Fertigung von Polyurethanen benötigt, einer vielseitigen und im Alltag weit verbreiteten Kunststoffklasse.
Polyurethane können je nach eingesetzten Komponenten hart und spröde oder auch weich und dauerhaft elastisch sein. Sie kommen daher häufig in Gestalt von Schaumstoffen vor. Diese finden sich in vielen Dingen des täglichen Lebens wie Matratzen, Möbeln und Autoteilen sowie in Dämmstoffen für Gebäude und Kühlgeräte.
Polyole als eine Polyurethan-Hauptkomponente beruhen im Kern auf petrochemischen Rohstoffen und letztlich auf Erdöl. Mit der CO2-Technologie lassen sich nun bis zu 20 Prozent des Öls durch CO2 ersetzen. Das Kohlendioxid reagiert dabei mit Propylenoxid und wird chemisch fest in die neue Polymerkette eingebunden.
Ein spezieller Katalysator senkt dafür die Aktivierungsenergie und steuert die chemische Reaktion so, dass die CO2-Moleküle an der richtigen Stelle eingebunden werden. Und es gibt noch einen Clou: Das Verfahren nutzt die im Propylenoxid vorhandene Engergie, um die Aktivierung von CO2 möglich zu machen. In der Reaktion wird das eingesetzte CO2 auf molekularer Ebene fest eingebunden und kann aus dem fertigen Polyol nicht mehr entweichen.
Fossile Rohstoffe schonen
«Das neue Verfahren bietet der Kunststoffindustrie einen bedeutenden Hebel zur Schonung konventioneller fossiler Ressourcen», betont Dr. Christoph Gürtler, der bei Covestro insbesondere Hochschul- und Industriekooperationen betreut. «Gleichzeitig tragen wir mit der CO2-Nutzung dazu bei, den Kohlenstoffkreislauf zu schliessen. Damit treiben wir die Transformation vom linearen Wirtschaftsmodell zu einer zirkulären Wirtschaft vor.»
Das neue Verfahren ist aber nicht nur in mehrfacher Hinsicht ökologisch nachhaltig. Die CO2-basierten Polyole und die darauf beruhenden Polyurethane besitzen zudem eine mindestens so gute Qualität wie solche aus traditioneller, komplett erdölbasierter Produktion. Entsprechend findet das neue Material Anklang und wird seit Markteinführung von ausgewählten Kunden genutzt und geschätzt. Angefangen hat es 2016 mit weichem Schaumstoff für Matratzen und Polstermöbel.
Seither wird das Spektrum der Anwendungen kontinuierlich verbreitert. Zuerst kamen entsprechende Vorprodukte für Bindemittel in Sportböden hinzu. Autositze und weitere Polyurethananwendungen für den Autoinnenraum sind heute ebenfalls verfügbar, genauso wie Dämpfer für Hochsee-Windkraftanlagen.
Elastische Fasern mit CO2 stehen bereits an der Schwelle zur Marktreife. Erste Unternehmen aus der Textilindustrie wie der Sockenhersteller Falke haben das Material bereits testweise in Socken verarbeitet. Gegenüber der traditionellen Produktion werden keine Lösungsmittel eingesetzt. Zudem weisen die neuartigen Fasern eine bessere Ökobilanz auf.
Die beste Nachricht ist jedoch: Nach Fasern, Schaumstoffen und Bindemitteln ist das Ende der Entwicklung noch lange nicht erreicht. Covestro forscht mit weiteren Partnern an neuen Anwendungs möglichkeiten der Plattformtechnologie. Zusammen mit der Technischen Universität Berlin arbeitet das Unternehmen beispielsweise am Einbau von CO2 in sogenannte grenzflächenaktive Substanzen. Diese können unter anderem in Waschmitteln eingesetzt werden. «CO2 wird in Zukunft eine nachhaltige Alternative für viele erdölbasierte Produkte sein und öffnet neue Möglichkeiten für nachhaltige Innovationen», erläutert Patrizia Wegner, Head of Marketing & Sustainability Performance Materials bei Covestro.
Echte Innovation
Seien es grenzflächenaktive Substanzen, seien es Socken, Matratzen oder Autositze – in der Summe hat sich das neue Verfahren bereits als echte Innovation erwiesen. Bei weiterhin guter Marktakzeptanz ist die Produktion von Polyolen mit der Triturn®- Technologie im grossindustriellen Massstab denkbar und wird von Covestro evaluiert. Gleichzeitig wird in zahlreichen, auch industrieübergreifenden Konsortien an weiteren Einsatzmöglichkeiten für CO2 als neuem Rohstoff geforscht.