Während das IKV-Kolloquium die weite Bandbreite der IKV-Forschung präsentiert und sich mit seiner praxisorientierten Forschung vorrangig an die Kunststoffindustrie richtet, bietet das Symposium Vorträge von Wissenschaftlern aus 14 Ländern und will den wissenschaftlichen Diskurs zwischen Wissenschaftlern und Industrie entfachen.
Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung im Mittelpunkt
Schwerpunktthemen des Kolloquiums bilden mit den Plenarvorträgen die Kreislaufwirtschaft, die Digitalisierung/Kunststoffindustrie 4.0 und die Additive Fertigung. Die Forschungsthemen des Kolloquiums werden in 15 Sessions angeboten. Jede Session umfasst zwei Vorträge aus dem IKV, die begleitet werden von einem Keynote-Vortrag eines Experten aus der Industrie. Das sind die 15 Sessions:
- Prozesseinrichtung im Spritzguss durch Human-Machine-Interfaces und KI
- Durchsatzsteigerung und Qualitätssicherung in der Verpackungstechnik
- Erweiterte Fluidmodellierung in der Kautschukverarbeitung
- Präzise, reproduzierbare Prozessregelung im Spritzgießen
- Simulative Optimierung der Misch- und Werkzeugtechnik in der Extrusion
- Neue Prüf- und Qualitätssicherungsmethoden für Hochleistungs-FVK
- Neue Spritzgießprodukte mittels treibmittelbeladener Schmelzen
- Mit integrativen Simulationsmethoden zu optimierten Spritzgießprodukten
- Plasmamodifizierte Barrieren und Membranen
- Digitale Schatten zur datenbasierten Prozess- und Materialbeschreibung
- Multiskalare Materialmodellierung zur Vorhersage von Bauteileigenschaften
- Entwicklungen für die ressourceneffiziente Produktion von PET-Flaschen
- Prozess- und Auslegungsoptimierung in der Additiven Fertigung
- Präzisionssteigerung beim Spritzgießen durch kontrollierte Erstarrung
- Qualitätsmerkmale UD-tapebasierter Laminate für die Umformmodellierung
Die Themen des Symposiums, das vollständig in englischer Sprache abgehalten wird, umfassen ebenfalls Kreislaufwirtschaft, Kunststoffindustrie 4.0 und additive Fertigung sowie, darüber hinaus, Leichtbautechnologien, Spritzgießen und Extrusion. Institutsleiter Professor Christian Hopmann: «Am IKV haben wir immer beides im Blick – erkenntnisorientierte Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Forschung für die Industrie. Wir wollen mit unserem Symposium der Grundlagenforschung Raum geben und haben daher Wissenschaftlern aus aller Welt gebeten, ihre Projekte vorzustellen und mit Wissenschaft und Wirtschaft zu diskutieren.»
Unter anderem werden folgende Innovationen vorgestellt:
KNN unterstützen schnelle und präzise Maschineneinrichtung
Künstliche neuronale Netze (KNN) bilden eine hochautomatisierbare Möglichkeit, Korrelationen zwischen Maschineneinstellparametern (zum Beispiel Einspritzgeschwindigkeit und Nachdruck) und Qualitätsgrößen (zum Beispiel Bauteilgewicht, Bauteilmaße oder Oberflächenqualität) zu erfassen. Im Rahmen des Brain-Projekts (Biologically inspired learning processes for machines in production) hat das IKV ein KNN entwickelt, das das Einrichten von Spritzgießmaschinen vereinfachen und optimieren soll. Es wurde mit simulativ erzeugten Daten eines bekannten Spritzgießprozesses vortrainiert, um dem Prozessmodell die grundlegenden Korrelationen beizubringen. Da aber eine Simulation niemals exakt die Realität widerspiegelt – reale Viskositätschwankungen, Umgebungsbedingungen oder die Reproduziergenauigkeit von Verfahrbewegungen sind nur bedingt darstellbar –, ist ein Nachtraining des KNNs mit experimentellen Versuchsdaten unumgänglich. Die Untersuchungen beim IKV haben jedoch gezeigt, dass das Vortraining zu einer Verringerung der benötigten experimentellen Datenbasis führen kann. Bereits ein reduzierter Versuchsplan mit 16 Maschinenparameter-Einstellungen generiert ein Prozessmodell, das sich für eine optimierte Spritzgießmaschinen-Einrichtung nutzen lässt. Die Aachener Spezialisten verfolgen nun einen weiteren Optimierungsansatz: Die kombinierte Verwendung von Simulations- und Realdaten aus Spritzgießprozessen für bekannte Formteile könnte die Datensätze, die für das Training von KNN für unbekannte Formteile benötigt werden, weiter reduzieren.
Automatisierte Auslegung von Kühlkanalsystemen
Das IKV entwickelt derzeit eine neue Methodik zur automatisierten, schnellen und präzisen Auslegung von Kühlkanalsystemen in Spritzgießwerkzeugen. Sie basiert auf der iterativen Berechnung einer optimalen Temperaturverteilung im Werkzeug. Der dabei eingesetzte Algorithmus arbeitet unter der Randbedingung, dass das Formteil möglichst gleichmäßig abkühlt und am Ende des Spritzgießzyklus eine möglichst homogene Dichteverteilung aufweist. Anschließend wird auf Basis der berechneten Temperaturverteilung im Werkzeug ein konturnahes Kühlkanallayout abgeleitet. Iterationsschleifen, wie sie bei einem vom Konstrukteur entwickelten Kühlkanallayout erforderlich wären, sind nicht mehr notwendig. Die neue Methodik wurde am IKV in praktischen Versuchen mit einem konturnah ausgelegten Kühlkanalsystem validiert. Als Referenz diente ein konventionell ausgelegtes Kühlkanallayout für das gleiche Formteil. Ergebnis: Die Dimensionstreue lässt sich mit dem neuen Ansatz um bis zu 50 Prozent steigern, allerdings nicht für alle geprüften Bauteilmaße. Grund dafür könnten Näherungen in den genutzten Materialmodellen sein. Deshalb beschäftigt sich das IKV in aktuellen Untersuchungen unter anderem mit der präziseren Beschreibung des Materialverhaltens.
Venturi-Effekt zur wirtschaftlichen Blasfolienextrusion
Für Untersuchungszwecke hat das IKV das neue Luftführungssystem für die Blasfolienextrusion transparent konstruiert. Bei der Blasfolienextrusion hängt der Massedurchsatz stark von der Höhe des Wärmeentzugs aus dem Folienschlauch ab. Um diese Kühlleistung zu steigern, hat das IKV ein flexibles, adaptives Luftführungssystem entwickelt, das einem konventionellen Luftkühlring nachgeschaltet wird. Durch den Einsatz einer flexiblen Membran ermöglicht das neue System eine gezielte Führung und Beschleunigung der Kühlluft zwischen Folienblase und Membran, was zur Ausbildung des Venturi-Effekts führt. Der Venturi-Effekt erhöht den Wärmeübergang der Kühlluft und sorgt zudem für eine gesteigerte Blasenstabilität. Für eine erfolgreiche Prozessführung ist auf einen möglichst geringen Strömungsspalt zwischen luftführender Membran und Folienblase zu achten. Um den Strömungsspalt genau beobachten zu können, konstruierten die IKV-Forscher ein transparentes Luftführungssystem. Die Verstellung der luftführenden Membran erfolgt mittels Druckschrauben. Aktuelle Forschungsergebnisse belegen das Potenzial des neuen Luftführungssystems. So lässt sich der Durchsatz bei nahezu gleichen Foliendickenschwankungen im Vergleich zum konventionellen Prozess um bis zu 32 Prozent steigern.
Polystyrol-Kreislauf durch chemisches Recycling
Im Rahmen des BMBF-Forschungsvorhabens „ResolVe“ hat das IKV gemeinsam mit Projektpartnern ein Verfahren zum rohstofflichen Recycling von Polystyrol (PS) entwickelt. PS gehört – anders als Polyolefine – zu den Polymertypen, die sich bei höheren Temperaturen wieder in ihre Monomereinheiten aufspalten lassen. Die Monomere können anschließend zur erneuten Kunststoffsynthese eingesetzt werden, ohne dass (wie bei werkstofflich recycelten Materialien) Verunreinigungen oder reduzierte Kettenlängen die Produktqualität beeinträchtigen. In dem Projekt dienen Verpackungsabfälle aus dem Gelben Sack als Ausgangsware. Über Reinigungs-, Sortier- und Zerkleinerungsprozesse werden daraus sortenreine PS-Flakes gewonnen. In einem Doppelschneckenextruder erfolgt daraufhin die thermische Degradation des Polystyrols in ein Kondensat aus Monomeren und Oligomeren sowie flüchtige Spaltprodukte. Während in den aktuellen Untersuchungen beim Einsatz von Neuware-PS Kondensatausbeuten von rund 65 Prozent erzielt werden, sind es bei der PS-Fraktion aus dem Gelben Sack nur rund 40 Prozent. Gründe dafür sind Füllstoffe, Fremdpolymere und Schmutzanhaftungen, die das Polymer verunreinigen. Nach fraktionierender Destillation der Styrolmonomere aus dem Kondensat wurden diese direkt zur Herstellung von neuem PS wiedereingesetzt.
Schichthaftung in der additiven Fertigung verbessert
Additiv gefertigte, also schichtweise aufgebaute Kunststoffteile weisen im Vergleich zu Spritzgussteilen schlechtere mechanische Eigenschaften in der Aufbaurichtung auf. Eine vom IKV entwickelte lokale Fügezonentemperierung ermöglicht es, diesen Nachteil abzumildern. Kurz vor Ablage der aktuellen Schicht wird die vorherige Schicht aufgeheizt, um die Verbindung beider Schichten und damit die Zugfestigkeit in Aufbaurichtung zu verbessern. Kernelement der Fügezonentemperierung ist ein Lufterhitzer, der die durchfließende Luft auf bis zu 650 °C erhitzt und die Schicht somit konvektiv erwärmt. Installiert ist der Lufterhitzer in der hybriden Fertigungszelle des Instituts. Diese besteht aus einem Plastifizier-Schneckenextruder und einem 6-Achs-Roboter, der die Formgebung übernimmt. So lassen sich hohe Massedurchsätze und großvolumige Bauteile mit komplexen Geometrien kombinieren. Zugversuche an Probekörpern zeigten: Der Einsatz der lokalen Fügezonentemperierung sorgt für ein höheres E-Modul, was auf die verbesserte Schichthaftung zurückzuführen ist. Deutlich wurde auch, dass die Steigerung der Lufttemperatur den positiven Effekt weiter verstärkt.
UD-Tape-Produktion mit integrierter Qualitätssicherung
Das IKV beschäftigt sich intensiv mit Fragestellungen, wie sich unidirektional faserverstärkte Thermoplast-Halbzeuge (UD-Tapes) effizient herstellen lassen. Ziel ist es, die Einflüsse auf Folgeprozesse zu quantifizieren und die Qualität der Endprodukte zu optimieren. Einen wichtigen Einflussfaktor bilden die morphologischen Eigenschaften der UD-Tapes, insbesondere die Porosität sowie die Homogenität der Faserverteilung über dem Querschnitt. Deshalb verfolgt das IKV eine ganzheitliche Prozessbetrachtung. Durch Korrelation von Inline-Sensordaten mit der UD-Tape-Morphologie lässt sich eine Qualitätssicherung in die UD-Tape-Produktion integrieren. Auch die Nachverfolgbarkeit für Folgeprozesse mit ortsaufgelösten Qualitätsdaten fand Berücksichtigung. Weiterhin entwickelten die Forscher eine Umformsimulation von UD-tapebasierten Laminaten mit der Möglichkeit zur Berücksichtigung der lokalen Laminatmorphologie. Zudem untersuchten sie die Einflussfaktoren der verwendeten Materialien auf das Anbindungsverhalten im Spritzgießprozess zur Funktionalisierung von UD-Tapes oder Laminaten.
PET-Mehrwegflaschen auch für Fruchtsäfte
Stilles Wasser wird heute bereits in PET-Mehrwegflaschen angeboten. Die Flaschen können relativ leicht gereinigt und wieder befüllt werden. Problematischer ist dies bei PET-Flaschen, die sauerstoffempfindliche Getränke, wie etwa Fruchtsäfte, oder kohlensäurehaltige Getränke enthalten. Hier ist eine Barriere gegen den Eintritt von O2 beziehungsweise den Austritt von CO2 erforderlich, was bereits industriell durch Plasmabeschichtungen auf der Innenseite von PET-Einwegflaschen realisiert wird. Die nur nanometerdicken SiOx-Schichten schränken die Rezyklierbarkeit des Materials nicht ein. Einem Reinigungsvorgang mit Natronlauge halten sie jedoch nicht stand, weshalb die Wiederverwendung der Flasche als Mehrweggebinde quasi ausgeschlossen ist. Mit der Entwicklung einer zusätzlichen Resistenzschicht (Top-Coat-Schicht) ist es dem IKV jetzt aber gelungen, die Eigenschaften plasmapolymerer Sperrschichten gezielt zu verbessern. Die Top-Coat-Barriere ist chemisch – auch gegenüber NaOH – und thermisch stabil. Mit korrekt eingestellten Parametern, wie etwa Wahl der Prozessgase, Prozessdruck oder eingebrachter Energie, lässt sie sich in einer industrienahen Versuchsanlage defektfrei und homogen auf die gesamte Fläche aufbringen. So beschichtet, könnten zukünftig zum Beispiel auch Obstsäfte oder Bier in PET-Mehrwegflaschen gehandelt werden.