In vielen modernen Messaufbauten lassen sich die zu untersuchenden Proben nicht direkt ausrichten, da sie in einem komplexen Messkopf verbaut sind. Die Wissenschaftler können sie dann nur durch Fernsteuerung korrekt positionieren. Trotzdem sollen alle möglichen Orientierungen umsetzbar sein – bei einem zur Probenaufnahme verfügbaren Raum, der sich lediglich in der Größenordnung eines Fingerhuts bewegt. „Das ist eine typische Situation, die wir immer wieder antreffen, wenn wir physikalische Größen unter extremen Bedingungen messen wollen, etwa in sehr starken Magnetfeldern oder nahe des absoluten Nullpunkts der Temperatur“, beschreibt Hannes Kühne vom Hochfeld-Magnetlabor Dresden (HLD) am HZDR den Ausgangspunkt der gemeinsamen Zusammenarbeit.
Die Neuentwicklung der beiden Dresdner Forscher bietet nun eine Möglichkeit, Materialproben in solch experimentellen Situationen über zwei Rotationsachsen mit hoher Präzision auszurichten. Kommerzielle Geräte ermöglichen Rotationen oftmals nur um eine Achse, mechanisch oder piezoelektrisch angetrieben. Bei selbstkonstruierten Varianten zur Rotation um zwei Achsen ist beispielsweise der komplette Messaufbau drehbar gelagert. „In manchen Laboren existieren eher improvisierte Zwei-Achs-Lösungen, die jedoch wegen fehlendem technischem Know-how meist ihre Tücken haben. Doch hier vor Ort haben wir beste Möglichkeiten, um Ideen aus der Forschung praktisch umzusetzen“, weist Stefan Findeisen auf einen Vorteil der Entwicklungsarbeit am HZDR hin: „Das betrifft ganz konkret das hohe Maß an Ingenieurskompetenz, über die unsere Zentralabteilung Forschungstechnik verfügt.“
Prototyp bereits in der Anwendung
Die Besonderheit der neuen Erfindung besteht in der gleichzeitigen Ansteuerbarkeit zweier Rotationsachsen, die im rechten Winkel zueinander stehen und sich unabhängig voneinander bewegen lassen. Dadurch ist eine präzise Ausrichtung der untersuchten Proben beispielsweise bezüglich eines äußeren elektromagnetischen Feldes möglich – und das auf kleinstem Raum. „Die verwendeten Materialien sind unmagnetisch. Dadurch vermeiden wir die Entstehung störender magnetischer Streufelder während unserer Messungen. Alle relevanten Bauteile sind aus dem Kunststoff Polyetheretherketon gefertigt, der kaum verschleißt und tiefste Temperaturen unbeschadet übersteht“, benennt Stefan Findeisen die hervorstechenden Eigenschaften des gewählten Werkstoffs. Der Rotax kann aber auch problemlos aus metallischem Material wie etwa Messing gefertigt werden, wenn eine gute thermische Ankopplung der Probe bei tiefen Temperaturen eine entscheidende Rolle spielt.
Am HLD gibt es bereits Prototypen in zwei verschiedenen Größen, die für Tieftemperatur-Messungen genutzt werden: „Wir haben einen der neuen Zwei-Achs-Rotatoren mit wechselbarem Probenträger in ein kommerzielles kryogenes Messsystem integriert“, berichtet Hannes Kühne und verdeutlicht: „Kernspinresonanz, elektrischer Widerstand, Wärmeleitfähigkeit oder die Magnetisierbarkeit von Materialien in hohen magnetischen Feldern – all diese Eigenschaften können wir nun deutlich einfacher messen. Das schlägt sich zum Beispiel in einer genaueren Probenpositionierung und in verkürzten Messzeiten nieder.“
Auf dem Weg zur Kommerzialisierung
Die möglichen Einsatzbereiche des „Rotax“ sind vielfältig: Sie reichen in der Grundlagen- und der anwendungsorientierten Forschung von der Bestimmung physikalischer Eigenschaften neuartiger Materialien über spektroskopische Anwendungen in der Chemie bis hin zu Verfahren der Bildgebung. Die Automatisierbarkeit der Messungen ermöglicht hierbei einen vielfach höheren Datendurchsatz, verglichen mit einer manuellen Lösung. Durch Integration geplanter Weiterentwicklungen von „Rotax“ in bestehende Aufbauten werden sich Proben auch mit Röntgen- oder Neutronenstrahlen schnell und genau aus allen Perspektiven kontrolliert „belichten“ lassen.
Die Erfindung ist bereits patentiert. Die HZDR Innovation GmbH ermöglicht den beiden Wissenschaftlern die Kommerzialisierung des „Rotax“ und vertreibt das Produkt in Lizenz. Es besteht Bedarf: „Nach groben Schätzungen gibt es weltweit mehrere tausend Messapparaturen, in denen der Zwei-Achs-Rotator durch Integration in komplexe Messvorrichtungen zum Einsatz kommen könnte“, unterstreicht Dr. Stefanie Hartmann, die als Innovationsmanagerin das Vorhaben betreut. Aktuell laufen mehrere internationale Kundenanfragen, eine erste Bestellung kam von einem Labor in Frankreich. Ein Industriepartner aus Thüringen hat bereits konkretes Interesse an einer Nutzung von „Rotax“ zum Einbau in komplexe Kernspinresonanz-Messapparaturen bekundet. Die Fertigung der Bauteile erfolgt durch spezialisierte Betriebe aus dem Dresdner Umfeld.